
Diabetes und die Augengesundheit | Interview mit Dr. Rolf Meyer-Schwickerath
November 2024
Im Interview geht er ausführlich auf häufige Beschwerden ein, die infolge eines erhöhten Blutzuckers auftreten können, sowie auf die Entwicklung und Möglichkeiten moderner Therapien. Zudem erläutert er die Risiken von Netzhautschäden und die Bedeutung der Prävention, erklärt, warum die Kontrolle des Blutzuckers so wichtig ist und welche Folgen unkontrollierter Diabetes für die Augen haben kann. 🩸
Interview mit Dr. Rolf Meyer-Schwickerath | Diabetes und die Augengesundheit
Frage: Warum ist für Diabetiker/Diabetikerinnen eine regelmäßige Kontrolle beim Augenarzt so wichtig?
Antwort von Dr. med. Meyer-Schwickerath: ,,Die Erkrankung durch den Diabetes kann anhand der Blutzucker-Einstellung schon gut eingeschätzt werden. Liegen die Werte jedoch deutlich erhöht (HbA1c über 8) muss regelmäßig kontrolliert werden, um frühzeitig Veränderungen an den Netzhautgefäßen entdecken zu können.
Das früher eherne Gesetz, dass nur Untersuchungen bei weiter Pupille eine sichere Untersuchung darstellen, gilt so heute nicht mehr. Durch moderne Bildgebung (Optomap) kann bereits bei enger Pupille ein Großteil der Netzhaut abgebildet werden. Das erleichtert für die Patient*innen die Prozedur der Kontrollen, weil die Patient*innen dann mit dem eigenen Auto anreisen können. Wenn dann Unklarheiten bestehen, muss natürlich auch eine Untersuchung bei weiter Pupille erfolgen.
Aber auch andere Erkrankungen wie Glaukom oder Makula-Degeneration sollten möglichst frühzeitig entdeckt werden. Auch Hinweise auf den Einfluss von hohem Blutdruck kann man manchmal frühzeitig finden.“
Frage: Welche Augenbeschwerden können durch Diabetes ausgelöst werden?
Antwort von Dr. med. Meyer-Schwickerath: „Am Anfang bemerken Patient*innen oft keine Symptome. Bei stark erhöhten Blutzuckerwerten kann es kurzfristig zu einer Sehverschlechterung kommen, die durch Wassereinlagerungen im Gewebe verursacht wird. Sind die Blutzuckerwerte allerdings über Jahre schlecht eingestellt, treten die ersten Veränderungen an den kleinen Blutgefäßen der Netzhaut auf. Es bilden sich winzige Aneurysmen, die bei augenärztlichen Untersuchungen sichtbar gemacht werden können.“
Frage: Wie haben sich die Therapieansätze in den letzten Jahren entwickelt und welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es in der heutigen Zeit?
Antwort von Dr. med. Meyer-Schwickerath: „In der Augenheilkunde gab es zwei wesentliche Fortschritte für die Behandlung von Komplikationen, die durch Diabetes mellitus verursacht werden. Der erste Meilenstein war die Lasertherapie, der zweite die Anti-VEGF-Therapie, welche gezielt Gefäßneubildungen im Auge hemmt und die Blutgefäße stabilisiert. Dank dieser Fortschritte haben wir heute eine deutlich bessere Ausgangssituation für unsere Patient*innen. Das Risiko für Erblindungen ist auf ein Minimum gesunken, und die Chancen auf Verbesserung und Stabilisierung der Sehschärfe sind heutzutage deutlich höher. Die wichtigste Behandlung in der heutigen Zeit ist die Vermeidung von Erkrankungen. Ich würde immer eine Kohlenhydrat-arme Ernährung und Antioxidantien-reiche Ernährung (Gemüse) empfehlen. Dazu gehört auch die Vermeidung von Lebensmitteln, die Unverträglichkeiten auslösen (Beispiele: Weizen, Milch und Milchprodukte).
Ist es einmal zu Komplikationen an den Blutgefäßen der Netzhaut gekommen, haben wir die Möglichkeit mit Medikamenten zu behandeln, die in den Glaskörper gespritzt werden (Anti-VEGF). Auch das Lasern ist in vielen Fällen immer noch eine hilfreiche Möglichkeit, Probleme zur reduzieren.“
Frage: Warum ist eine Kontrolle des Blutzuckerspiegels bei Diabetes so wichtig?
Antwort von Dr. med. Meyer-Schwickerath: „Der Fokus der Behandlung liegt heutzutage darauf, Diabetes-bedingte Erkrankungen möglichst zu vermeiden. Das bedeutet, dass wir dafür sorgen müssen, dass der Blutzuckerspiegel nicht so stark ansteigt, dass – auf Dauer – die Blutgefäße geschädigt werden. Ein entscheidender Parameter dabei ist der Langzeitwert HbA1c. Dieser Langzeitwert zeigt, wie gut oder schlecht die Blutzuckerkontrolle über einen längeren Zeitraum war, und erlaubt es uns, das Risiko von Folgeschäden genauer einzuschätzen.“
Frage: Wie wirken sich Schäden an der Netzhaut aus und wie kann man vorbeugen?
Antwort von Dr. med. Meyer-Schwickerath: „Ein besonders sensible Struktur ist die Makula, der Bereich des schärfsten Sehens. Bei einer Flüssigkeitsansammlung oder einer eingeschränkten Blutversorgung in diesem Bereich kann es zu verschwommenem Sehen kommen. Eine frühzeitige Behandlung ist dann unbedingt erforderlich, da länger bestehender Flüssigkeitsaustritt zu irreversiblen Schäden führen kann. Bei einer Verschlechterung des Sehvermögens sollte unbedingt ein Augenarzt/ eine Augenärztin aufgesucht werden.“
Frage: Können Sie uns etwas zur sogenannten „Reparatur“ durch Gefäßneubildungen erläutern?
Antwort von Dr. med. Meyer-Schwickerath: Sicherlich. Es können sogenannte Gefäßausfälle entstehen, bei denen kleine Blutgefäße in der Netzhaut absterben. Wenn dies ein bestimmtes Maß überschreitet, beginnt die Netzhaut, neue Blutgefäße zu bilden, um die ausgefallenen Blutgefäße zu ersetzen. Diese Neubildungen entstehen jedoch unkontrolliert, da die Netzhaut als flache Struktur – vergleichbar mit einem Handtuch – die gezielte Reparatur nicht leisten kann. Deshalb führen diese unkontrollierten Reparaturversuche häufig zu einer weiteren Schädigung der Netzhaut.
Vor etwa 40 bis 50 Jahren begannen wir mit der Laserbehandlung als eine erste Option. Diese Methode erzielte Erfolgsquoten von 60 bis 70 Prozent, jedoch nicht 100 Prozent. Heute greifen wir ergänzend zu sogenannten Wachstumsfaktor-Hemmern, den Anti-VEGF-Spritzen, die ebenfalls dazu beitragen, die Reaktion zu unterbrechen. In fortgeschrittenen Fällen kann auch eine chirurgische Intervention erforderlich sein, um Gefäßneubildungen, die zu einer Netzhautablösung führen, gezielt zu entfernen.“
Frage: Kann Diabetes zu Blindheit oder bleibenden Schäden führen?
Antwort von Dr. med. Meyer-Schwickerath: „Ja, die Dauer eines schlecht eingestellten Blutzuckerspiegels ist entscheidend für das Ausmaß der Netzhautschädigung. Schwerwiegende Schäden können wir heute in vielen Fällen durch die Kombination von Laser- und Anti-VEGF-Therapien stabilisieren. Besonders Jugendliche, die sich in ihrer Jugend nicht um eine gute Einstellung bemüht haben, tragen häufig ein erhöhtes Risiko. Solche Patient*innen betreuen wir auch noch später, was zeigt, wie wichtig eine konsequente Blutzuckerkontrolle ist.“
Frage: Ist der Graue Star eine ernste Komplikation bei Diabetes?
Antwort von Dr. med. Meyer-Schwickerath: „Der Graue Star tritt bei schlecht eingestellten Diabetiker*innen oft früher auf, insbesondere bei jungen Menschen. Im Vergleich zu Netzhautschäden ist der Graue Star jedoch weniger problematisch, da sich eine Linsentrübung heute erfolgreicher behandeln lässt.“
Frage: Haben medikamentöse Therapien bei Diabetes einen Einfluss auf die Augengesundheit?
Antwort von Dr. med. Meyer-Schwickerath: „Neben dem Blutzucker spielt auch ein hoher Blutdruck eine wichtige Rolle. Er erhöht das Risiko für Gefäßschäden, da ein diabetesgeschädigtes Blutgefäß dem Druck weniger standhält. Zudem können bestimmte Medikamente, wie Cholesterinsenker, die Befeuchtung der Schleimhäute beeinflussen, was häufig zu trockenen Augen und Schleimhäuten führt. Ein schlechter Tränenfilm beeinträchtigt das Sehen und kann nicht vollständig durch künstliche Tränenflüssigkeit ersetzt werden.“
Frage: Welche Rolle spielt die Ernährung für Menschen mit Diabetes? Worauf sollten sie besonders achten?
Antwort von Dr. med. Meyer-Schwickerath: „Die Ernährung ist nicht nur für Menschen mit Diabetes ein wichtiger Faktor, sondern für alle. Unser Körper benötigt Energie aus Kohlenhydraten und Eiweißen und zudem verschiedene Nährstoffe zur Reparatur unserer Zellen, die ständig oxidativen Schäden ausgesetzt sind. Der Sauerstoff oxidiert alle Gewebestrukturen, was eine ständigen Reparatur bedarf. Diese Antioxidantien, die vor allem in Obst und Gemüse vorkommen, schützen unsere Zellen. Bei Diabetes ist jedoch wichtig, dass der Großteil der Antioxidantien eher aus Gemüse stammt, da Obst oft viel Zucker enthält und so den Blutzuckerspiegel stark beeinflusst.“
Für weitere Informationen zum Thema Diabetes-Vorsorgeuntersuchungen besuchen Sie gerne unsere Informationsseite.